Mohamed


Mohamed kam an einem verschneiten Weihnachtsmorgen zur Welt. Es war bitterkalt und er wäre erfroren, hätte nicht dieser Türke bei mir Sturm geläutet.

    Schottische Hochlandrinder sind das Hobby meiner Frau. Mir genügt der Anbau von Getreide. Inzwischen habe ich aber ebenfalls den Narren an den gutmütigen Tierchen gefressen. Der Anblick ihrer ehrfurchtgebietenden Hörner ist wie ein Sprung in graue Vorzeit. Dank ihrem dicken Fell lassen sich Hochlandrinder das ganze Jahr über auf der Weide halten. Sie trotzen jedem Wetter. Die Umstände von Mohameds Geburt allerdings, sind auch für den tapfersten Highlander nicht ganz ohne. 

    Als ich die Tür aufriss, hielt mir der schnautzbärtige Mann ein zitterndes Etwas von einem Kalb entgegen. Er habe das neben der Strasse entdeckt, keuchte er ganz ausser Atem. Uns beiden ist klar, das Neugeborene brauchte dringend die erste Milch der Mutter. Ich hiess ihn das Kalb in der Küche trocken reiben, während ich auf der Weide nach der Mutter suchte. Mit einem Strick in der Hand mühte ich mich durch knietiefen Schnee. Schliesslich entdeckte ich die kleine Dolly, die an ihrer Nachgeburt knabberte. Ihre Freundinnen standen kauend an der Raufe und schauten schlaftrunken herüber. Den Spuren nach war das Kalb unter dem Zaun hindurch die Böschung hinunter gepurzelt und am Strassenrand liegen geblieben. 

    Dass die Kuh trächtig gewesen war, überraschte mich. Diesen Fellkneueln ist einfach nichts anzumerken. Offenbar hatte der Bulle im Fühling doch gewirkt. Zwei Tage lang hatten wir ihn mit den Kühen auf der Weide gelassen, doch er schien kein Interesse an unseren Damen zu haben. Und nun das. 

    Kaum war ich mit Dolly im Stall angekommen, stand der fremde Mann mit dem Kalb da. Das Schicksal des Kleinen schien ihm am Herzen zu liegen. Es kostete uns einige Anstrengung es an das Euter der Mutter zu bringen, denn sie wich ständig aus, als würde sie ihr Kind nicht wiedererkennen. Also machten wir sie an der Wand fest und bugsierten das wacklige Kleine so zur Milch. Bald stand der kleine Stier gestärkt auf eigenen Beinen und wir streuten frisches Stoh ein.

    Mein Helfer hatte Freudentränen in den Augen. Wie das Kalb denn heissen soll, fragte er. Ich zuckte die Schultern. Jesus, schlug er vor, denn heute sei doch sein Geburtstag, der Geburtstag des Retters. Ich bin kein religiöser Mensch, aber der Name des Retters schien mir angebracht und ich fragte den Mann nach seinem Namen. Mohamed, sagte er. Wir schüttelten uns die Hand. Darauf sollten wir trinken, mindestens einen Pfefferminztee. Mohamed winkte ab. Er komme vom Spital und fahre nur zum Frischmachen kurz nach Hause, dann kehre er zurück. Seine Frau habe in der Nacht eine Tochter geboren.


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Patrick Josua Meier

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